Jeden Tag treffen wir unzählige Entscheidungen, die meisten davon unbewusst und innerhalb kürzester Zeit. Während die einen in Entscheidungsmomenten oft aus dem Bauch heraus agieren und nicht lange nachdenken, wägen andere die Vor- und Nachteile rational ab. Doch welche Art der Entscheidungsfindung macht uns glücklicher? Prof. Dr. Carina Remmers, Expertin für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der HMU, gibt Antworten.
Frau Prof. Remmers, Sie haben mit Ihrem Team ein Experiment durchgeführt und mehr als 250 Personen über zwei Wochen lang bei ihren Alltagsentscheidungen begleitet. Was genau haben Sie untersucht?
Ausgangslage unserer Studie war die Hypothese, dass Entscheidungen im Alltag dazu beitragen, die Stimmung eines Menschen anzuheben. Unsere Erwartung war, dass dies bei intuitiven Bauchentscheidungen ausgeprägter empfunden wird als bei analytischen Kopfentscheidungen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden im Untersuchungszeitraum gebeten, jede anstehende Entscheidung über ein Online-Portal zu melden – und wir haben sie nach dem Zufallsprinzip angewiesen, die Entscheidung entweder intuitiv oder rational zu treffen. Kurz vor der Entscheidung und direkt danach wurde jeweils die Stimmung abgefragt. Außerdem wollten wir wissen, wie leicht oder schwer ihnen die Entscheidung fiel, wie zufrieden sie mit dem Ergebnis waren und ob sich die Entscheidung richtig angefühlt hat. Später haben wir noch erfasst, ob sie ihre Entscheidung tatsächlich umgesetzt und wie sie sich dabei gefühlt haben. Am Ende lagen uns Daten von rund 6.800 Alltagsentscheidungen vor.
Haben diese Daten Ihre Vermutung bestätigt?
Das haben sie. Es gab einen signifikanten Unterschied in der Stimmungslage der Teilnehmenden – abhängig davon, ob sie analytisch oder intuitiv entschieden hatten. Bauchentscheidungen haben einen deutlich positiveren Effekt auf unsere Laune als Kopfentscheidungen.
Welche Erklärung haben Sie dafür, dass uns Entscheidungen aus dem Bauch heraus glücklicher machen als vernunftbasierte Kopfentscheidungen?
Ein Kriterium ist, dass uns Bauchentscheidungen oft leichter fallen als analytisches Vorgehen. Das zeigen auch unsere Daten. Intuitive Entscheidungen basieren auf den Erfahrungen, die wir in unserem bisherigen Leben gemacht haben, was wir gelernt haben. Dieser Prozess verläuft unbewusst und sehr schnell – Bauchentscheidungen brauchen also weniger Zeit als analytische Kopfentscheidungen. Unser Experiment hat aber auch gezeigt, dass Bauchentscheidungen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit in die Tat umgesetzt werden als Kopfentscheidungen – womöglich, weil sie oftmals mehr mit unseren persönlichen Vorlieben in Einklang stehen.
Welche therapeutische Erkenntnis leiten Sie aus den Ergebnissen Ihrer Untersuchung ab?
Depressive Menschen beispielsweise tun sich oft schwer mit Entscheidungen. Sie verlassen sich häufig nicht mehr auf ihre Intuition; damit gehen auch ihre Handlungsimpulse verloren. Ein Ansatz kann also sein, sie gezielt darin zu fördern, ihrem Bauchgefühl wieder zu vertrauen. Doch selbst, wenn sie lieber kopflastig entscheiden: Wichtig ist, sie wieder in die Lage zu versetzen, überhaupt Entscheidungen zu treffen – denn das allein sorgt schon für eine bessere Stimmung, egal, ob auf intuitiver oder analytischer Basis. Denn Entscheidungen sind für uns nicht allein deshalb wichtig, um Ziele zu erreichen, sondern auch, um unsere Stimmung zu regulieren.
Informationen zum Masterstudiengang Psychotherapie an der HMU gibt es hier.