Der Ende 2024 veröffentlichte Jahresbericht der deutschen Suchthilfestatistik zeigt: Problematischer Cannabiskonsum ist nach Alkoholmissbrauch die zweithäufigste Ursache für Hilfesuchende – und die sind im Schnitt deutlich jünger als die Alkoholkonsument:innen. Prof. Dr. Anne Beck ist Psychologische Psychotherapeutin und erforscht an der HMU neurobiologische Grundlagen von Suchterkrankungen. Im Interview erläutert sie, wie sich Cannabiskonsum im Jugendalter auf Konzentrationsfähigkeit und Denkprozesse auswirkt, woran man eine Abhängigkeit erkennt und wie Suchtkranken geholfen werden kann.
Frau Prof. Beck, Cannabis ist nach Alkohol und Nikotin das am weitesten verbreitete Suchtmittel in Deutschland. Wie wirkt es und wo sehen Sie besondere Gefahren?
Anders als Alkohol und Zigaretten, die dem gesamten Körper schaden, wirkt Cannabis vor allem im Gehirn. Regelmäßiger Konsum kann zu einer Beeinträchtigung des Denkens und der Gedächtnisleistung führen. Problematisch ist dies insbesondere bei Jugendlichen, deren Gehirne noch nicht fertig ausbildet sind und deshalb sensibler auf die Wirkung von Cannabis reagieren. Bei ihnen können Cannabinoide wie THC und CBD die Reifung der Hirnsubstanz stören; der IQ verringert sich, Aufmerksamkeitsspanne und Konzentrationsleistung nehmen ab.
In welchem Zusammenhang steht Cannabis mit psychischen Erkrankungen?
Regelmäßiger Konsum und ein hoher THC-Gehalt werden mit einem erhöhten Risiko für psychische Probleme in Verbindung gebracht. Dazu zählen psychotische Störungen, Ängste und Depressionen, aber auch das so genannte amotivationale Syndrom, das zu einem Verlust von Tagesstruktur und Lebensplanung führt. Allerdings wird noch daran geforscht, ob diese Probleme durchs Kiffen entstehen oder ob verängstigte bzw. lustlose Menschen eher dazu neigen, Cannabis zu konsumieren.
Welcher Konsum ist vertretbar und wann beginnt die Abhängigkeit?
Abhängigkeit wird nicht allein an der konsumierten Menge gemessen. Entscheidend ist auch das subjektiv empfundene Verlangen. Wer eine Abhängigkeit vermeiden will, sollte sich folgende Fragen deshalb ehrlich beantworten: Macht mir das Kiffen Probleme in der Schule, im Studium oder im Job? Schreibe ich schlechtere Noten oder fallen mir Aufgaben schwer, die mir sonst leicht von der Hand gingen? Verzichte ich zunehmend auf gesellschaftliche oder sportliche Aktivitäten? Muss ich mehr Gras rauchen als früher, um die gewünschte Wirkung zu erzielen? Auch Entzugszeichen wie Schlafstörungen, innere Unruhe oder starkes Schwitzen weisen auf eine Abhängigkeit hin.
Wie kann eine solche Abhängigkeit therapeutisch behandelt werden?
Es gibt verschiedene therapeutische Methoden, erste Wahl ist oft die Verhaltenstherapie. Bei einer Suchterkrankung funktioniert das sogenannte neuronale Belohnungssystem nicht mehr so, wie es aus evolutionärer Sicht vorgesehen ist. Denn Belohnung ist das, was die Menschen antreibt, neue Dinge zu lernen und sich anzustrengen. Die Gehirne suchtkranker Menschen haben umgelernt, sie haben ein Gedächtnis dafür entwickelt, welche Substanzen zu einem Gefühl von Entspannung oder Euphorie führen bzw. unangenehme Zustände verlässlich reduzieren können. Dadurch wird das Verlangen nach diesen Stoffen stärker und die Menschen verlieren zunehmend die Kontrolle. Hier setzt die Verhaltenstherapie an. Sie unterstützt Suchtkranke dabei, umzulernen und wieder neue, andere Verhaltensweisen für ihren Alltag zu etablieren. Wenn die alten Verhaltensmuster dadurch in den Hintergrund rücken, ist viel gewonnen.
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